Rosszko? Rosszko hat die Welt verändert, die Welt des Geistes, die Welt der Bildung, die Welt der Kommunikation. Rosszko hat begriffen, was die neue Zeit bedeutet. Er hat die technischen Möglichkeiten nicht nur konsequent angewendet, sondern hat ihnen eine neue Höhe der Kultur abgerungen. Er hat als Erster die Kultur als eine Einheit verstanden, nicht als eine Ansammlung von Vorlieben, Bräuchen, Liebhabereien; Kultur ist immer die herrschende Kultur und nicht das Aufgewärmte, Aufgepäppelte, doch längst dem Vermodern Preisgegebene.
Mein Vater führte bereits eine Buchhandlung. Er war stolz auf sie. Er allein. Wir, Mutter und ich, keineswegs. Wir wohnten über dem düsteren Laden, und unsere Wohnung roch genauso nach alten, verstaubten Büchern, denn das Antiquariat war die Leidenschaft meines Vaters, wo seltene vergriffene Ausgaben auf Käufer warteten und viel zu billig hergegeben wurden; mein Vater war kein Geschäftsmann sondern ein Narr. Wenigstens ein Bücher- und Literaturnarr, aber eben doch ein Narr.
Meine Mutter war eine begnadete Köchin – ist es immer noch –, und so duftete es wenigstens nach frischem Sugo, wenn ich nach der Schule das Treppenhaus hochstieg. Sie kochte aus dem wenigen, das sie kaufen konnte, wunderbare Mahlzeiten, und so kann ich mich über meine Jugend nicht beklagen, auch meine Mutter klagte nicht, alterte aber früh und führte wohl ein wenig glückliches Leben. Ob mein Vater glücklich war, weiss ich nicht, ich bekam jedenfalls den Eindruck, dass Bücher keineswegs glücklich machen würden. Ich bin übrigens auch heute noch dieser Ansicht, und ich übernahm die Buchhandlung meines Vaters, gerade weil ich dieser Ansicht war. Mein Vater hatte eine Art kultischen Zugang zu den Büchern, so müsste ich es ausdrücken, Bücher waren Heiligtümer für ihn, und ich begriff nie ganz, wie er dazu kam, ich vermute, dass sie ihm zu einer Art geistiger Geborgenheit verhalfen, eine Geborgenheit in der Welt abstrakter menschlicher Konstrukte – jedenfalls las er häufig in seinen Büchern, nicht nur wenn er sie sichtete und einordnete, nein er las weiter, in der Nacht, aber nie nur ein Werk, sondern Dutzende oder Hunderte nebeneinander, wahllos, jedenfalls kam es mir als Kind so vor. Er kultivierte den Kontakt mit ihnen, sie waren seine geistigen Begleiter, vielleicht seine Schutzengel, ich weiss es nicht. Nie erwähnte er uns gegenüber irgendetwas aus ihrem Inhalt, wenn allerdings ein Kunde kam, so konnte er fliessend aus den Werken zitieren und das war wohl auch der Grund, dass doch ab und zu ein Kunde uns beehrte und auch das eine oder andere kaufte.
Mich schickte er an die Uni, und ich studierte auch ohne grosse Lust einige Semester – Literatur und Philosophie, was denn sonst. Ich hielt allerdings mehr von den Künsten meiner Mutter, sie ist heute noch die beste Köchin der Welt. Die Uni langweilte mich, und doch, ohne sie wäre es mir nicht möglich gewesen, Vaters Libreria zu übernehmen, denn ich lernte die Leute kennen, die aus Büchern ihre Lebensaufgabe machen. Ich hatte auch genügend Verstand, mich in weiteren Kreisen umzusehen und zu begreifen, dass mein Vater ziemlich alles falsch gemacht hatte. Jedenfalls im Hinblick auf eine erfolgreiche Geschäftsführung.
Rosszko hatte in jener Zeit bereits weite Teile des Büchermarktes übernommen, und es war naheliegend, sich da anzuschliessen. In die Buchkommunity, die Kommlibreria. Ich blieb formal selbständig. Und trage auch weiterhin das Geschäftsrisiko. So ist das in der Kommunity. Man ist Geschäftsmann und Mitglied, nicht Angestellter. Und trägt das Risiko.
Mein Geschäft ist an bester Lage. An der neu gestalteten Piazza beim Bahnhof. Im Parterre der grössten Bank der Region. Eine der grössten der Welt sogar. Weine und Bücher. Bücher und Weine. So heisse ich. So heisst mein Geschäft. Bücher sind wie Weine. Leckerbissen. Man geniesst sie. Der Geniesser geniesst sie. Andere Leute kaufen keine Bücher, nur Geniesser kaufen Bücher. Wie beim Wein. Die Texte sind zweitrangig. Nicht unerheblich, aber zweitrangig. Texte kann man im Internet lesen, auf dem Bildschirm, dem Mobile, aber Bücher, die wollen eingepackt und ausgepackt, herumgegeben und durchgeblättert werden; Bücher werden begutachtet, auf Design und Druck, Bücher schmeicheln dem Auge und der Hand – und schliesslich auch dem Geist, aber dieser öffnet sich dem Buch nur, wenn ihm nachgeholfen wird, und zwar mit den Weinen, die ich darbiete, zum Lesen und Kaufen.
Bei mir lesen die Menschen in den Büchern, und trinken ein, zwei, drei Glas Wein, essen ein Häppchen oder ein ganzes Mahl, denn ich biete einiges aus der Küche; die Menschen kommen miteinander ins Reden und zitieren aus den Werken, die gerade vor ihnen liegen. Eine Welt trifft sich bei mir, Rosszkos Welt, die Welt des Geistes und der Bewegung, der wirtschaftlichen Bewegung, vor allem aber die Welt des Genusses und der Ablenkung und Entspannung vom geschäftlichen, geschäftigen Dasein.
Aber natürlich hofft jeder Gast heimlich, dass er genau an dem Tag erscheint, da wir Aufnahme haben. TV. Bücher und Wein. Es treffen sich bei mir – ein hartes Stück Arbeit war das, bis es soweit war – ein Literat oder Philosoph oder Soziologe oder, oder – mit einem Weindegustator oder Koch. Spitzenleute in ihrem Fach. Und beide müssen ihre Spitzenkenntnisse zeigen, und beide müssen sich im Fach des anderen beweisen, der Philosoph muss kochen und der Koch sich mit Philosophie befassen. Heiterkeit und Amusement sind garantiert. Damit es nicht abgleitet und damit auch visuelle Reize nicht fehlen, haben wir eine Moderatorin gefunden, die durch die Sendung führt – im Vertrauen, sie selbst war es, die auf die Idee kam. Bei mir, in einer ruhigen Stunde. Sie war vor ein paar Jahren hier Miss University und hat einen Abschluss und ist die Schlagfertigkeit in Person, Liebreiz und Schlagfertigkeit in Person, und schafft es immer wieder, die Gäste auf den Weg zu bringen, bis das Mahl, das geistige und das leibliche, beieinander ist und gegessen werden kann. Essen ist ein Vergnügen, eine Lustbarkeit, und das Geistige muss und darf nichts Anderes sein. Geist schwebt, Geist beschwingt, und muss belebt werden. Geist gehört in die Medien, muss medial verbreitet werden und nicht zwischen Bücherdeckeln vermodern. Die Lehre. Rosszkos Lehre.
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Andreas KöhlerLessingstrasse 2CH - 9008 St. GallenDr. med. / FMH Psychiatrie und Psychotherapie