Rosszko? Ja. Ja. Ich war Hausangestellte bei ihm. Bei ihnen. Er hatte damals eine Freundin. Verlobte nannte er sie mir gegenüber, aber sie waren nicht verlobt, ich glaube es jedenfalls nicht. Er war – wie soll ich sagen – er war meistens freundlich.
Ich denke, es war so eine Art Liebesnest, von Heiraten war jedenfalls nie die Rede. So genau habe ich ja nie zugehört, aber man vernimmt doch vieles, wenn man bei Leuten arbeitet. Ich war erst nur stundenweise da, vermutlich konnten sie sich mehr nicht leisten. Jedenfalls waren sie nicht begütert. Anfänglich. Er, Rosszko arbeitete viel, kam vollkommen unregelmässig nach Hause und ging wieder. Darum wollte er schliesslich, dass ich mehr arbeiten würde, damit immer zu Essen da war. Dann war er wochenweise weg. Sie auch. Ich weiss gar nicht, ob sie zusammen gearbeitet haben. Manchmal musste ich kochen. Ich koche gut, jedenfalls ist das die allgemeine Meinung. Ich bin Köchin. Ich habe das gelernt. In den Trattorie unserer Nachbarschaft. Ich wurde regelmässig bezahlt. Von ihm. Immer von ihm. Eigentlich weiss ich gar nicht, ob sie auch gearbeitet hat. Muss sie ja wohl, sie war ebenso häufig weg wie er.
Sie war eitel. Nun ja, sie sah gut aus; Rosszko hielt viel darauf, jedenfalls war das mein Eindruck. Alles musste perfekt sein. Er konnte verärgert reagieren, wenn nicht alles perfekt war. Er war ein Perfektionist. Ein Mann. Ich weiss nicht, ob sie viel Sex hatten, das geht mich ja auch gar nichts an. Ich hatte damals meinen Freund, und Sex mit einem anderen Mann interessierte mich nicht. Rosszko wollte bald einmal, dass ich immer in der Wohnung war. Das ging ja nicht, schliesslich will man auch einmal ausgehen. Und ich hatte meine Freundinnen. Und meinen Freund. Rosszko beharrte und versprach einen guten Lohn. Ich willigte ein. Ich konnte auch ausgehen, aber nur mit Handy. Die kamen damals in Mode. Und nur ausgehen, nie woanders übernachten. Er konnte mitten in der Nacht anrufen und sich melden. Dann musste ich kochen. Rosszko war ein Feinschmecker. Aber er ass nie viel. Ganz anders als mein Freund.
Was er tat, ich meine, was er arbeitete, wusste ich nicht. Er sagte nie ein Wort darüber und ich machte mir auch nicht viel Gedanken dazu. Ich erfuhr erst mit der Zeit, dass er bei den Medien war, dass ihm gewisse Medien gehörten, oder Ferien, etwas mit Ferien, Urlaubsreisen. Ich fahre nie in den Urlaub, jedenfalls nie weit weg. Wirklich weit. Ans Meer schon. Aber das ist ja nicht weit. Er war bei den Medien, damals und irgendwann hiess es, verschiedene Privatsender würden ihm gehören. Ich habe ihn aber nie am TV gesehen, damals. Später ja schon. Und jetzt sieht man ihn täglich. In den Nachrichten.
Mein Mann sagt Rosszko gehöre alles, aber Rosszko sagt, dass alles der Kommunity gehört. Ich habe damals schon gedacht, aus ihm wird etwas ganz Grosses. Ich meine, er hatte eine spezielle Art, genauer kann ich das nicht sagen. Er war ein Siegertyp. Das ist er ja immer noch. Er befahl nie. Sondern er bestimmte. Er bestimmte alles. Auch die Einrichtung der Wohnung. Sie war sehr gross, und Rosszko liess Leute kommen, denen er Aufträge gab.
Automatische Vorhänge zum Beispiel. Rosszko wollte immer bestimmen, wie viel Licht hereinkam. Ich dachte, dass er einen Tick auf Licht hatte, irgendwie. Wann wo die Sonne hereinzuscheinen hatte. Die Möbel mussten entsprechend platziert sein. Nachts war die Beleuchtung gedämpft zu halten, ausser wenn – und das kam selten vor – Rosszko ein Fest gab. Dann war alles strahlend hell, und der Salon wurde zum Tanzsaal umgestaltet. Musiker wurden engagiert, und Leute kamen, die ich sonst nie sah. Denn Rosszko hatte sonst kaum Gäste.
Die Festlichkeiten waren aufwendig, und ich musste mehrere Köchinnen und Diener auftreiben. Rosszko erwartete das Feinste, was in der Stadt zu haben ist; glücklicherweise kenne ich viele Restaurants, die, in denen ich früher gearbeitet hab. Man liess mich nie im Stich. An den Festlichkeiten war seine Freundin nie zugegen. Rosskzo erwartete auch, dass das ganze Haus jeweils gereinigt würde, bis in die hinterste Ecke. Ich musste auch da Leute anstellen. Es durften keine Spuren zu sehen sein.
Eines Tages konnte ich nicht mehr zurück in die Wohnung. Ich war mit meinem Freund im Kino und dann in einer Bar. Ich kam spät zurück, und als ich zurückkehrte, ging der Wohnungsschlüssel nicht. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und versuchte, die Nummer anzurufen, von der mich Rosszko jeweils herbeirief, obwohl er nicht wollte, dass ich ihm telefoniere. Von aussen sah man kein Licht in der Wohnung. Aber das hiess nichts; die Vorhänge waren dick, und zur Strasse hin hatte ich abends die Läden zu schliessen. Es nahm niemand ab. Mein Freund war noch in der Bar – und hatte damals noch kein Handy. Ich kannte einen zweiten Zugang zum Appartement, und zwar durch die benachbarte Wohnung, die viel kleiner war, doch ebenfalls verwaltet wurde; jene Frau hatte mich gebeten, ab und zu hineinzuschauen, denn sie hatte nicht immer Zeit. Sie war eine Bekannte einer meiner Cousinen, und ich hatte schlechten Gewissens ja gesagt. So betrat ich jene Wohnung, von der man durch eine interne Tür in Rosszkos Appartement gelangte.
Ich hatte Angst und dachte erst daran, meinen Freund zu holen, aber ich fasste Mut und ging leise durch die benachbarte Wohnung, öffnete die Tür und blieb lange still stehen. Ich hatte fürchterliche Angst. Dann trat ich in das anschliessende Zimmer und sah einen Lichtschein im Flur. Ich schritt vorsichtig durch den nur schwach erhellten Raum und wollte das Licht bei der Tür anzumachen, da sah ich im Flur Beine. Die Beine einer Frau am Boden. Ich unterdrückte einen Schrei und wollte weg. Aber dann fasste ich mich, so gut ich konnte und näherte mich der Frau. Es war Rosszkos Freundin. Sie lag am Boden. Bewegte sich nicht. Ich bückte mich. Sie schien nicht zu atmen. Ich erhob mich und tastete mich durch das dunkle Zimmer wieder in die Nachbarwohnung zurück. Ich wollte zur Polizei, aber dann wusste ich nicht, ob das richtig war und ob ich alles richtig gesehen hatte.
Ich rannte zur Bar zurück, und mein Freund war noch da. Ich bat ihn, sofort zu kommen, doch er wollte nicht, und dann wollte er doch, und versuchte mich zu beruhigen, bezahlte und kam mit mir in die Wohnung. Als wir im Flur anlangten, war die Frau weg. Einfach weg. Ich versuchte den Freund zu überzeugen, dass sie vorhin da war; sie war wirklich da, ich habe sie genau gesehen, doch er war wütend und glaubte mir kein Wort.
Ich habe nie mehr etwas von allem gehört, auch nicht von der Frau. Aber nach zwei Tagen wurde mit gekündigt. Rosszko kündigte alles, auch die Wohnung. Und wir heirateten bald, mein Freund und ich. Und er wollte nie mehr etwas von der Geschichte hören. Ich hätte viel zu viel Phantasie. Zu viel Einbildungskraft.
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Andreas KöhlerLessingstrasse 2CH - 9008 St. GallenDr. med. / FMH Psychiatrie und Psychotherapie