Rosszko? Ich bin der Praktikant. Rosszkos Praktikant. Der Praktikant der Kommunity. Ich bin derjenige, der überall aushilft, der nichts verdient, oder nur gerade so wenig, dass er überleben kann, wenn irgendjemand noch mithilft, die Mutter oder das Sozialamt. Ich bin das Schmiermittel der ganzen Gesellschaft, mir zugehörig sind die schlecht bezahlten Arbeiter, die Ungebildeten und Unausgebildeten auf der ganzen Welt, aber ich bin der Gebildete, ich habe etwas studiert, Geisteswissenschaften, habe sogar einen Abschluss, und mich braucht man nun im Medienzentrum des Filmstudios zum Sortieren, mit der Aussicht, irgendwann einmal nachzurücken. Das ist aber nicht garantiert, sondern ich kann mich bei Gelegenheit bewerben, wie die anderen, die Konkurrenten, und dann wird gewählt.
Was das mit Rosszko zu tun hat? Ziemlich viel, meiner Meinung nach, denn gemäss meiner geisteswissenschaftlichen Bildung hat das etwas mit Rosszkos Geist zu tun. Mit dem Geist der Verheissung. Und Verheissung heisst: Wallfahrt ins Schlaraffenland. In Rosszkos Schlaraffenland, wohlverstanden, ins Land der Träume, ins Land der Wachträume, der kollektiven Träume von einem Wohlstand, der vom Geist her kommt und nicht von der Materie. Darum empfinde ich das Sortieren und Transportieren der Bücher, das Suchen in den Gestellen tief unter der Erde, das Herauftragen und Darreichen an die Auftraggeberin, als gerechte Korrektur meiner Ansicht über die Welt, ich könnte auch, würde ich religiöser denken, als gerechte Strafe für meine Naivität empfinden.
Immerhin, ich muss nur die alten Ton- und Filmspulen herumschleppen, die neuen sind digitalisiert und ich muss sie nach bestimmten, stets wechselnden Kriterien auf dem Computerbildschirm sortieren und klassifizieren. Ich kann also einen grossen Teil meiner Arbeit ziemlich bequem am Bildschirm erledigen, und das bezeichnen die Menschen ja gemeinhin als geistige Arbeit, und ist es in gewisser Hinsicht auch.
Es ist mir auch klar, dass ich dadurch einen Beitrag zum gemeinschaftlichen Geist leiste, dass ich damit tatsächlich in Rosszkoschem Sinne arbeite. Aber ich selbst halte mich eben doch nicht für einen Geisteswerker, sondern einen Hilfsarbeiter, und meine Existenz ist höchst prekär. Wenn meine Eltern und meine betagte Grossmutter nicht noch ein Scherflein beitragen würden, dann wäre meine Existenz noch prekärer, das heisst, sie wäre bedrohlich.
Nein. Das stimmt nicht. Ich kann mich ernähren und habe ein Dach über dem Kopf. Jeder soll das haben – Rosszkos Ziel. So sagt er jedenfalls. Und ich weiss auch, dass noch nicht jeder auf dieser Welt ein Dach über dem Kopf hat. Ich müsste also zufrieden sein. Nur: Damit eine Familie ernähren? Lächerlich. Absurd. Ich könnte mich höchstens mit einer anderen Praktikantin zusammentun, und gemeinsam hoffen, dass einst einem von uns der Sprung gelingt. Der Sprung bergwärts, das heisst, hin zu mehr Einkommen.
Vielleicht ist das unser Schicksal. Sozusagen unser Opfer für den Rosszko-Staat, die Rosszkommunity. Sie, der Leser hier, der Hörer hier, Sie, auch ein Mitglied der Kommunity, werden mir entgegenhalten, dass ich ganz einfach zu wenig tüchtig sei. Sonst hätte ich es längst geschafft. Damit mögen Sie Recht haben – vielleicht. Denn immerhin gibt es Millionen von meiner Sorte – doch eines muss ich meinerseits Ihnen entgegenhalten: Rosszko hat nie davon gesprochen, dass nur die Tüchtigen träumen dürfen. Rosszkos Welt besteht aus Träumen für alle. Für ganz alle, davon lebt sie. Und wenn unsereiner aufhört zu träumen, wenn alle, die zu uns gehören, ihrer Träume verlustig gehen – dann ist die Kommunity im Wanken. Meine ich.
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Andreas KöhlerLessingstrasse 2CH - 9008 St. GallenDr. med. / FMH Psychiatrie und Psychotherapie