Rosszko? Ich bin kürzlich in seiner Show aufgetreten. Phantastisch. Ich weiss, Rosszko macht keine Shows. Er macht Politik, jetzt, wo er alles regiert. Und das ist eine andere Sache, seine Sache, obwohl er sagt, es sei eigentlich nicht seine Sache, sondern Sache der Kommunity. Ich weiss aber nicht, ob man da einen Unterschied machen kann oder machen soll, und ich glaube auch, dass das egal ist.
Rosszko wird seine Sache durchsetzen. Ich bin aufgetreten, und ich habe nachher die Sendung angeschaut, jede Sekunde habe ich durchgeschaut, und alles ging supergut. Das Makeup hielt trotz der Lampen und obwohl die Lüftung nur halb funktionierte. Ich hatte hart trainiert, das kann ich schon sagen, ich trainiere immer hart, aber vor der Sendung trainierte ich noch härter und ass nichts; meine Mutter schalt mich, ich würde anorektisch; das ist letzter Unsinn, aber ich hätte mich geschämt, wenn mein Po so fett gewesen wäre wie derjenige Lauras, die neben mir tanzte. Ich weiss nicht, wie es solche Leute schaffen, zum Fernsehen zu kommen. Dabei habe ich eine Superfigur, so wie es sich für das Portal gehört, und fürs Fernsehen auch, für die, die noch fernsehen, und das sind ziemlich viele. Rund um die Sphere. Wir nennen das jetzt Sphere, seit Rosszko nicht nur das Portal organisiert, sondern die ganze Sphere, die Kommunity.
Ich habe schon als Kind Ballett gemacht, meine Mutter war dafür, obwohl mich Ballett, wirkliches Ballett nie interessierte, die tanzen das Letzte, und die Musik ist sterbenslangweilig und die Lehrerinnen sind das, was sie sind. Sklaventreiberinnen. Von Tanzen verstehen sie nichts. Immerhin habe ich den Körper trainiert und kann, wenn es sein muss, auf den Spitzen stehen. Abitur habe ich letztes Jahr gemacht. Der Vater will, dass ich Jus studiere.
Da bin ich jetzt dran. Aber die Castings brauchen Zeit. Und ich weiss gar nicht ... Ich weiss nur, dass ich nicht ... Ich weiss nicht, nein, ich weiss schon, ich werde Juristin beim Fernsehen. Ich werde Juristin bei den Medien. Ich habe, nein, nicht mit Rosszko gesprochen, doch habe ich mit Rosszko gesprochen, nach der Show. Wir haben uns unterhalten, nur kurz, und eigentlich habe ich dann mit Marcello gesprochen, und Rosszko war dabei, aber nicht lange und Marcello ist ein ekliger Typ, aber ich habe mit ihm gesprochen, obwohl er eklig war, und er meinte, Juristinnen könnten sie brauchen, und die Mutter meint es auch. Er meinte, an mir herumfummeln zu müssen. Die Masche ist bei allen immer dieselbe. Sie behaupten, der bescheuerte Dress sitze nicht richtig und grapschen an der Wäsche. Ich lass das nicht zu, aber Lissy hat da weniger Hemmungen und vielleicht behalten die sie und nicht mich, dabei studiere ich Jus, und Lissy kann nicht einmal fehlerfrei auf zehn zählen und braucht die Mutti für ihre Diät.
Rosszko ist ein Supertyp. Ich denke, er schafft es, das mit der Kommunity, mit der ganzen Kommunity und der ganzen Sphere, und wenn er es schafft, so schaffen wir alle es auch. Er war sehr entspannt vor der Sendung, obwohl doch viel auf dem Spiel stand. Die Kommunity soll überall gelten, so habe ich es jedenfalls verstanden, und es gibt immer noch Leute, die dagegen sind; mir ist allerdings nicht klar, warum die dagegen sind, denn jeder sieht, dass es mit der Kommunity besser läuft.
Mein Freund ist auch gegen die Kommunity, trotzdem ist er stolz auf mich. Er behauptet überall, er habe mir das Tanzen beigebracht. So ein Unsinn. Ich bin mir über meine Gefühle ihm gegenüber nicht mehr so sicher. Ich habe ihm das auch gesagt. Er war wütend und hatte Tränen. Er tat mir leid und ich habe mich für ihn geschämt, obwohl niemand die Tränen gesehen hat. Er könnte sich an Rosszko ein Vorbild nehmen. Er sollte ein Mann werden wie er. Wie Rosszko. Rosszko ist zwar schon alt. Aber eigentlich … Männer werden nie alt. Jedenfalls gewisse. Und die anderen sind immer schon alt, sie werden alt geboren. Meiner Meinung nach.
Rosszko könnte mein Vater sein. Er nimmt alles lockerer, viel lockerer als mein Vater. Mein richtiger Vater. Er könnte … Er sollte es auch lockerer nehmen. Er ist für Rosszko. Ich begreife nicht, warum er sich dann Sorgen macht. Irgendwann werden wir keine Sorgen mehr machen müssen; die Kommunity ist jetzt genügend stark. So stark, dass niemand mehr gegen sie ankommt. Alle Kanäle laufen dann über sie, über das Portal. Ich rechne damit, dass Marcello Wort hält. Er soll gute Kontakte in die innerste Kommunity haben. Sehr gute Kontakte. In die Medien-Kommunity. Dann geht das rascher vorwärts. Mit mir.
Das war ja nicht einfach eine Sendung, sondern das war sozusagen Rosszkos offizieller Beginn in der Sphere, nachdem das Militär wieder in den Kasernen ist. Rosszkonvent hat es geheissen, und das wird nun jedes Jahr gefeiert, in allen Städten, und auf allen Plätzen, im Andenken an diesen Sieg Rosszkos, ich weiss zwar nicht, ob das als Sieg bezeichnet werden soll, Rosszko hat ja nicht eigentlich gekämpft, sondern sich zur Verfügung gestellt. Und die Katastrophe abgewendet.
Rosszko war gleichzeitig in der ganzen Sphere. Und ich bin mit ihm aufgetreten, zuerst virtuell, dreidimensional, wunderbar war das und ich darf stolz sein, auch mit ihm tanzte ich ein paar Schritte, natürlich ist das schwierig, aber ich habe geübt, es braucht eine bestimmte Übungsmethode, die nur wenige beherrschen, mit jemandem tanzen, der weit entfernt ist. Und nicht nur selbst ein Tanzgefühl spüren, sondern es auch hinüberbringen, zum Publikum. Es war die grösste aller Shows, und ausgerechnet mit Rosszko. Rosszko organisiert jetzt ja diese Veranstaltungen, an denen die Leader sich treffen, reell und virtuell, jedes Mal anders. Seit Rosszko den Lead übernommen hat, über die ganze Kommunity, zeigt er sich ja häufiger. So wird er populär und das ist auch richtig so: das muss so sein, mein Vater findet das auch richtig.
Und wie Rosszko sich zeigt – sogar live, von einem Ort zum anderen, das grosse Ereignis, denn er reist immer herum, seit er Chef ist; er hält die Dinge zusammen, er ist ein Symbol, das sich nun zeigt; er ist präsent, er hat alles erklärt, er hat ein Organisationszentrum, seit langem, in den Bergen, das ist sozusagen das feste, stabile Zentrum, aber er hat ja nun ein zweites, mobiles Zentrum in Dienst genommen, ein Flugschiff, denn er will nicht nur virtuell da und dort sein, sondern real, denn die Sphere und die Kommunity sind auch real.
Und er wird mit seinem Flugschiff überall hinreisen, denn da wo er ist, ist seine Pfalz, so hat er es genannt, und eigentlich ist das riskant, so herumzufliegen, aber er wird wohl eine Eskorte haben.
Und so war Rosszko auch persönlich bei uns, ganz persönlich, leibhaftig, wie er ja nun dauernd unterwegs ist, seit er die Kommunity übernommen hat, die Regierung. Ich habe ihn angefasst, und er war echt – unsere Visuoauditomaten können ja die Menschen beinahe echt übertragen, aber Rosszko war nun wirklich echt. Ich tanzte ein paar Schritte mir ihm, ich bin ja fürs Tanzen da, ich bringe Leben und Freude auf die Bühne, und manchmal sage ich ein paar Worte; ich würde allerdings gern mehr sagen, ich hätte viel mehr zu sagen, aber das kommt später, man muss Geduld haben.
Ich bin ja nicht für irgendeine Show auf der Bühne, sondern ich bin ausgewählt worden, an einem Casting, wo Hunderte von Frauen sich gemeldet haben, die meisten waren gar nicht in Frage gekommen, konnten ja nicht einmal ihre Beine richtig bewegen und ein paar Pummelige gab es da auch darunter.
Das Grösste aber war, dass unser Trupp zu einer Fahrt mir Rosszkos Flugschiff eingeladen wurde. Ins ganz neue, grosse Flugschiff, das ja erst fertig gestellt worden ist. Es wurde unterwegs eine Party gegeben, das Grösste, was ich je erlebt habe. Rosszko gibt ja eigentlich keine Partys, aber das war doch eine Art Party; und nur schade, dass Percy nicht dabei war, mein Freund, oder vielleicht ehemaliger Freund, denn im Moment verstehen wir uns wirklich nicht gut, wir verstehen uns sogar schlecht, und ich denke, Percy ist einfach eifersüchtig, oder er kann nicht mithalten.
Rosszko residiert ja praktisch nur noch im Flugschiff, und eigentlich ist so ein Flugschiff eine altmodische Sache, denn Rosszko könnte irgendwo residieren, in einem Schloss oder einem Wolkenkratzer oder da in den Bergen, aber da soll es nach nichts aussehen, immerhin kann das Flugschiff parkieren. Es kann überall parkieren, auch bei uns, und die Organisation ist perfekt.
Ich nenne mich jetzt Victoria. Weil ich überall gewonnen habe, und Victoria ist ein schöner Name. Er passt zu mir, Victoire wäre vielleicht noch schöner. Aber das kommt nicht so darauf an; im Portal wird ohnehin alles sogleich übersetzt, und dann heisse ich einmal Victoria, und dann Victoire oder Vittoria, das ist vielleicht das Allerschönste.
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Andreas KöhlerLessingstrasse 2CH - 9008 St. GallenDr. med. / FMH Psychiatrie und Psychotherapie